Auszeichnung 2010
Wohn- und Geschäftshaus Hanse-Carré in Münster
Bauherr & Architekt:
Arbeitsgemeinschaft Deilmann / Kresing
Architekturbüro A. Deilmann
Architekturbüro R. M. Kresing
Fertigstellungsjahr:
2009
(Fotos: Christian Richters, Münster)
Projektbeschreibung Arbeitsgemeinschaft Deilmann / Kresing
Stadtprogramm
Inmitten der Innenstadt der westfälischen Metropole Münster ist ein neues Geschäfts- und Wohnhausareal entstanden, welches sich besonders durch den sensiblen Umgang mit einer städtebaulich speziellen Forderung auszeichnet. Die Aufgabe bestand weniger darin, einen Baublock gestalterisch interessant aufzufüllen, als vielmehr, das in Münster eigene innerstädtische historische Gassensystem und die damit verbundenen Vitalität zu erhalten, fortzusetzen und zu stützen. So durchläuft ein teilweise neues ergänzendes Wegesystem die einzelnen Baublöcke, und es entstehen zwei Baukörper als Solitäre. Ergänzt und fixiert wird die Gebäudefiguration durch einen gläsernen Pavillon, der sich an die Bebauung anschmiegt und die Gassensituation einleitet und gleichzeitig durch die reizvolle wie malerische Platzsituation mit denkmalgeschütztem Baumbestand.
Baukörperprägung
Giebelhausstrukturen in mannigfaltiger Ausprägung haben Münsters Innenstadt seit jeher gekennzeichnet. Sie sind der gestalterische Archetypus dieser Stadt. Angelehnt an diesen Archetypus setzt das neue Baukonzept bewusst auf kleinteilige Fassaden. Nicht historisierend oder romantisierend, sondern als abstraktes Zitat wird die mittelalterliche Maßstäblichkeit aufgegriffen und eine zeitgemäße und zukunftsgerichtete Antwort auf die Altstadt gegeben. Anders als die historischen Gebäude haben die neuen Monolithe keine Rückfronten, sondern nur Fassaden, was sie zu einem bisher nicht gestalteten Typus macht. Zwei „Stadtstempel“ zeigen eine ganz eigene Identität. Die Rundum-Fassaden sind über das Gassensystem und die entsprechenden allseitigen Eingangssituationen erfahrbar und erlebbar.
Nutzungskonzept
Der von Tucholsky den Berlinern zugeschriebene Wunsch „vorne Nordsee und hinten Alpen“ wird für Münsteraner in Abwandlung wahr –vertikal. Die monolithischen Gebäude bieten von der Tiefgarage bis zum Dach ein Nutzungskonzept, wie es umfassender nicht sein kann. Über die Tiefgarage wird sowohl die Belieferung der Geschäftsetagen wie auch die Einstellmöglichkeit für Privat-PKW’s gewährleistetet – für eine bequeme und funktionstüchtige Altstadtlage unerlässlich. Erdgeschoss und 1. OG sind mit großflächigen individuellen Verkaufsräumen belegt. Das 2. OG wird als Bürofläche genutzt. Wo sich bei anderen Geschäft- und Bürohäusern eine Wohnbebauung im Dachgeschoss anschließt, beginnt im Hanse Carré eine eigene private Welt. Acht gestalterisch individuelle komfortable Wohnhäuser mit jeweils zugeordnetem Gartenbereich bilden eine Roof-Top-Idee mit besonderem Charme. Nordsee und Alpen geht doch, nur noch ausgefeilter, aufregender und beschützter: unten town – oben privacy.
Beurteilung durch das Preisgericht
In der Innenstadt von Münster haben die Verfasser ein Geschäfts- und Wohnhausareal entwickelt, das sich mit der kleinteiligen Baugestalt der Stadt und ihren Strassen im Zentrum auseinandersetzt. Damit greifen die Verfasser ein städtebauliches Problem auf, mit dem unsere Städte durch die Kleinteiligkeit ihrer Parzellengrößen und die darauf geplanten großvolumigen Baumaßnahmen zu kämpfen haben. Einkaufszentren, Kaufhäuser oder Parkhäuser lassen sich städtebaulich nur schwer integrieren, ohne die Vielfältigkeit der bestehenden Bebauung zu stören. Und genau hierzu liefert diese Arbeit eine Lösung, die von der Jury als besonders gelungen angesehen wird.
Die über zwei Blöcke reichenden Geschäfts- und Bürohäuser werden von einem Fassadensystem umfasst, das die Kleinteiligkeit Münsters in Material und Gestalt aufgreift. Ergänzt wird dieses Fassadensystem durch „Wohnhäuser“ auf dem Dach, die mit ihren Giebeln die Büro- und Kaufhausfassaden krönen. Entstanden ist damit eine kleinstädtische Architektur, die nicht als Büro- oder Kaufhausarchitektur in Erscheinung tritt. Mit dem in Münster typischen Fassadenmaterial des Ziegels werden die Häuser zusätzlich an ihren Entstehungsort gebunden.
Kritisch gesehen wird der gläserne Pavillon, der weder in seiner Gestalt noch mit seinem Material zum Gesamtensemble passen will.
Durch das Wohnen entsteht in Kombination zum Kaufhaus und der Büroetage auch eine Nutzungsmischung, die im städtischen Raum von großer Wichtigkeit für die Lebendigkeit des Ortes ist. Diese Nutzungsmischung, aber auch die Idee der städtebaulichen Einfügung der Bauwerke durch das Material und die Gestalt ihrer Fassaden erscheinen der Jury als ein Beispiel von besonderer Qualität. Für den Erhalt der Schönheit und Lebendigkeit unserer Städte aber sind diese Qualitäten von herausragender Bedeutung.
Dieser beispielgebende Ansatz verdient eine Auszeichnung im Rahmen des Westfälischen Preises für Baukultur 2010.