Filmportrait und Wettbewerbsplakat: Das Pferd an der Decke - Erweiterung der Bibliothek für Architektur, Kunst und Design, Münster
Die Verwendung der Dokumentationsmaterialien darf nur im Zusammenhang mit der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Westfälischen Preises für Baukultur erfolgen.
Erläuterung der Entwerfer Prof. Herbert Bühler/ Andreas Schüring M.A./ Stephan Weber M.A.
Neue Stellungen vor den Stallungen
Der Leonardo Campus im Norden von Münster bildet mit der Kunstakademie, der münster school of architecture (msa) und dem Fachbereich Design einen Kreativ-Campus auf dem Gelände einer ehemaligen Reiterkaserne. Die Buchbestände sind zusammengefasst in einer Bibliothek und besetzen nun statt den Pferden einen Teil der früheren Stallungen. Die Regale bedürfen jedoch weiterer Stellplätze. Doch wo?
Vor dem Stall stehen schon lange keine Pferde mehr. Stattdessen werden h i e r nun die Bücher stehen. Eingerahmt werden diese durch eine Glasfassade, deren großformatige Scheiben mittels Glasschwertern ausgesteift sind. Diese Fassade aus besonders klarem Glas prägt das Gebäude durch seine hohe Transparenz. Die Bücher werden so tags und besonders nachts auch von außen als bedeutender Mittelpunkt des Hochschulcampus erlebt und so zum einprägsamen Zeichen der Bildung.
Der Raum ist dreigeteilt und bietet den Studierenden verschiedene Arbeitsmöglichkeiten. Im vorderen Bereich entwickelt sich die Fassade zu drei Studierkabinen für ein ungestörtes Lernen, im hinteren Bereich steht ein Tisch für Gruppen bereit, flexibel abtrennbar durch einen Akustikvorhang. Als veränderbares Element kann er eine individuelle Denkzone schaffen oder einen größeren Bereich öffnen. Die Außenseite ist bedruckt mit einem digital generierten Motiv auf der Grundlage der “Schule der Philosophen“ von Rafael. Durch Indifferenz erzeugt der Vorhang eine ständig wechselnde Raumbeziehung.
Gottfried Sempers Postulat für Polychromie und seine Feststellung, dass Farben weniger schreien als blendendes weiß, wird beim Zusammenspiel von intensiv grüner Decke und schwarzem Fußboden mit der Farbigkeit der Bäume und dem Ziegelton umgebender Bauten deutlich erlebbar. Beim Blick durch die Glasfassade erscheint die Umgebung wie in Hochglanz, viel farbiger, als dies außerhalb des Gebäudes wahrgenommen werden kann.
Die flügel-ähnliche Bedachung steht im hinteren Teil auf drei Stützen, deren Form ein Moment der Bewegung der Beine der Pferde ist, die sich früher hier bewegten. Sie sind digital entwickelt und Produkt einer computergesteuerten, modernen Stahltechnologie.
In Münster regnet es sprichwörtlich viel. Entlang einer offenen Traufe auf der gesamten Längsseite werden die Niederschläge inszeniert und als Vorhang, der als zweite Ebene vor der Fassade heruntertropft, zum Erlebnis. Das Regenwasser wird in einer Rigole vor der Fassade gesammelt und ökologisch wirksam dem Gelände zugeführt.
Zwischen neuem und altem Dach erhellt eine Lichtfuge die historische Stallwand. Treppen und Durchgänge durch die Wand verhindern Stillstand und sorgen so für eine Vernetzung beider Teile.
Begründung der Jury vom 19. Juni 2015
Mit der Erweiterung der Bibliothek des Leonardo Campus in Münster haben die Verfasser in besonders sensibler Weise die vorhandenen ehemaligen Pferdestallungen um einen Anbau ergänzt, der bei intensiver Rücksichtnahme auf das Vorhandene das bestehende Gebäude mit einer zeitgemäßen Architektursprache fortsetzt.
Die maximal transparente Fassade macht die neue Nutzung ebenso wie das historische Stallgebäude erkennbar und zeigt damit die Transformation des gesamten Gebäudeensembles von einer Kaserne zur Hochschule.
Die Erweiterung ist ein geglücktes Beispiel für das Weiterbauen im architektonischen Kontext unter Verzicht auf jegliche bildhafte Anpassung an das bestehende historische Gebäude. Dieses wird bis in die Details respektiert und vollständig erhalten. Der ergänzende Neubau reagiert mit einem behutsamen Anschluss an Dach und vorhandene Fassade, erscheint aber in einer ganz eigenen Architektursprache.
Die kühne Tragkonstruktion, die sich aus dem Übersetzen der Bewegungsstudie eines galoppierenden Pferdes in ein Tragwerk entwickelt („Das Pferd an der Decke“), ist eine Referenz an die ehemalige Nutzung als Pferdestall und gibt dem Gebäude ein spezifisches Erkennungselement.
Die Erweiterung der Bibliothek zeugt von besonderen Qualitäten in der Architektur und im Umgang mit historischer Bausubstanz, ist daneben in einem außergewöhnlichen Planungsprozess entstanden: Die Arbeit wurde in Zusammenarbeit zwischen dem an der Fachhochschule lehrenden Professor H. Bühler und den dort studierenden A. Schüring und S. Weber unter intensiver Beteiligung der Bibliothekare entwickelt; weitere Lehrende der Fachhochschule Münster waren fachlich an der Umsetzung beteiligt. Der eigene Bildungs- und Ausbildungsort wurde zum Thema der Arbeit.
Dieses Projekt verdient nach Auffassung der Jury eine der drei Anerkennungen im Rahmen des Westfälischen Preises für Baukultur 2015.